SZ.de „Es gibt keinen Papst im Islam“

Bund und Länder wünschen einen klaren Ansprechpartner bei den Muslimen. Aber so einfach geht das nicht.

Von Rabeya Müller

Rabeya Müller,61, arbeitet beim Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung in Köln, ist Gründungsmitglied des Liberal Islamischen Bundes und Imamin bei der Muslimischen Gemeinde Rheinland

Die Deutsche Islamkonferenz hat wieder einmal die Frage aufgeworfen: Wer spricht eigentlich für die Musliminnen und Muslime in Deutschland? Die theologisch konservativen Verbände? Kleine Gruppen wie die liberalen Muslime, die Religion und liberales Denken verbinden wollen? Die säkularen Muslime, die sich medienwirksam vor dem Treffen zusammengeschlossen haben, teils scharfe Religionskritik üben und für eine strikte Trennung von Staat und Religion eintreten?

Jede Religionsgemeinschaft sucht sich selbst die Quellen, nach denen sie sich richten will und soll. Dabei geht es auch um den Anspruch des Grundgesetzes, gut und vernünftig mit der Religion umzugehen. Dem Genüge zu tun und gleichzeitig die Authentizität derselben zu wahren, ist oftmals eine schmale Gratwanderung. Das zeigt sich auch vor allem darin, wie theologisch-theoretische Kriterien und Ansprüche der unterschiedlichen islamischen Strömungen in die Praxis umgesetzt werden. Der Staat muss dabei bemüht sein, die innerislamische Vielfalt zu berücksichtigen und widerzuspiegeln. Diese Vielfalt sollte von den Betroffenen mitgestaltet und interdisziplinär verwirklicht werden.

Damit tun sich die Muslime nicht nur in Deutschland schwer. Natürlich wollen sie die Gleichberechtigung mit Religionsgemeinschaften. Selbstverständlich wünschen sich alle, dass Theologie und Religion seitens des Staates gefördert werden. Aber zweifelsohne sollten Bundes- oder Landesebene jene fördern, die, der säkularen rechtsstaatlichen Vorstellung entsprechend, auf dem Boden der Verfassung stehen. Dabei die Religionsfreiheit nicht anzutasten, ist manchmal nicht ganz einfach.

Religion gilt auch heute noch für viele Musliminnen und Muslime in einer Weise als Orientierung, die ihre liberale und säkulare Umwelt irritiert. Wenn aber ein frommer Mensch in rituellen Fragen traditionell religiös ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass er ein Islamist ist. Das deutsche Recht setzt dieser traditionellen Frömmigkeit Grenzen. Trotzdem wäre eine Flexibilität von allen Seiten der Sache dienlich.

Der Islam ist eine Weltreligion und strukturell nicht unmittelbar mit den christlichen Kirchen vergleichbar. Es gibt im Islam kein Lehramt, auch wenn mancher (und manche) gerne Papst aller Muslime wäre. Der Islam kennt keine Ordination von Geistlichen, auch wenn es Verbandsfunktionäre gibt, die gerne die ihnen genehmen Personen ordinieren und missliebigen die Zustimmung verweigern würden. Doch diese Entscheidung trifft regulär eine muslimische Gemeinde ganz basisdemokratisch für sich selbst, dabei sollte es auch bleiben.

Wenn das Ziel die Zusammenarbeit der muslimischen Gruppierungen untereinander sein soll, müssen Bund und Länder davon ablassen, eine Anpassung an kirchliche Strukturen zu fordern. Da der Islam ein anderes Gefüge hat, muss sich erst innerislamisch etwas entwickeln, das bestimmten rechtlichen Vorgaben näher kommt. Einfach nur muslimische Gruppierungen an einen Tisch zu holen, ihnen die vorhandenen organisatorischen Vorstellungen zu erläutern und eine entsprechende Anpassung einzufordern, hat sich als nicht zielführend erwiesen. Verstärkt wird dies noch, wenn sich viele Musliminnen und Muslime nicht von den an den Tisch Geholten vertreten fühlen und die wiederum lieber schlecht übereinander als konstruktiv miteinander reden. Das wäre Aufgabe der Muslime: über gemeinsame Kriterien zu diskutieren und auch zu streiten.

Eine solche Diskussion sollte offen an die bestehenden Fragen und Probleme herangehen und Absolutheitsansprüche ausschließen. Eben erst haben bei der Tagung einer großen deutschen Stiftung Studierende der Islamischen Theologie Äußerungen wie „Imaminnen gibt es nicht!“ oder „Homosexualität ist eine Krankheit“ getätigt – so etwas sollte es nicht geben und auch nicht toleriert werden. Der Islam ist nicht in Gefahr, wenn Menschen über theologische Inhalte unterschiedlicher Meinung sind. In der islamischen Welt werden längst sehr verschiedene theologische Meinungen kontrovers diskutiert, das fehlt in Deutschland. Es wäre wünschenswert, wenn die Deutsche Islamkonferenz hierfür ein Forum bieten könnte. Offenbar bedarf es an dieser Stelle einer Moderation des Staates, um die Musliminnen und Muslime miteinander ins Gespräch zu bringen. Das heißt keineswegs, dass der Staat „es richten“ soll, wie sich das vielleicht einige wünschen. Die innerislamische Diskussion müssen alle mit allen führen, auch wenn es persönliche Vorbehalte gibt.

Würden die Verbände und ihre Funktionäre andere Meinungen respektieren und eventuell sogar akzeptieren, dass es nicht die eine islamische Sicht der Dinge gibt, würde das die gegenseitigen Beschimpfungen der muslimischen Akteure auf Twitter und Facebook verringern – aber auch der gesamten Gesellschaft nützen. Ganz abgesehen davon, dass es eine alte islamische Tradition ist, unterschiedliche theologische Standpunkte miteinander zu diskutieren, ohne sich gegenseitig das Muslimsein abzusprechen.

Es würde für den Staat keinen Eingriff in innerreligiöse Fragen bedeuten, wenn er diese Plattform ermöglichen würde. Dabei darf auch der Minderheitenschutz nicht außer Acht gelassen werden – es gilt also nicht nur, sich nach vermeintlich organisierten Mehrheiten zu richten, sondern auch die Bedürfnisse der vielen verschiedenen Menschen muslimischen Glaubens in diesem Land Berücksichtigung finden zu lassen. Das ist auch eine Chance, da es auf Bundesebene noch keinen vergleichbaren Staatskirchenvertrag gibt und somit Inhalte frei diskutierbar bleiben.

Diesen innerislamischen Diskurs zu befördern, sollte eine der vordringlichsten Aufgaben der Deutschen Islamkonferenz sein. Es gibt ja bereits zahlreiche unterschiedliche Initiativen, Gruppen und Strömungen, die sich in dieser Gesellschaft und für diese Gesellschaft engagieren wollen; es ist gut möglich, dass die meisten davon in irgendeiner Form zusammenfließen werden. Die Deutsche Islamkonferenz braucht gar nicht immer neue Gruppen, die beanspruchen, für „die“ Muslime zu reden. Sie braucht Mitwirkende, die miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch kommen wollen und können. Nur ein derart beförderter innerislamischer Dialog könnte den Traum der Verwaltungsebene erfüllen, einen Ansprechpartner zu haben.

Die Gemeinsamkeiten der Akteurinnen und Akteure sind größer, als sie manchmal selber wahrhaben wollen. Würden sie mit- statt übereinander reden, würden sie mit Erstaunen feststellen, dass vieles auch von anderen gesagt wird. Das Fazit ließe sich dann von allen gemeinsam formulieren.

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