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Rabeya Müller, die erste Imamin in Deutschland.

16. November 2017

Preis für einen weltoffenen Islam

ImaminRabeyaMueller

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Die stille Heldin

Rabeya Müller macht kein Aufhebens um ihre Person. Sie ist Religionswissenschaftlerin, Imamin, Feministin und seit vielen Jahren Streiterin für einen liberalen Islam in Deutschland, der so recht nicht vorankommt

Setzt sie nach hinten, wie Allah sie nach hinten gesetzt hat.“

Rabeya Müller lächelt müde. Solche angeblichen Aussprüche des Propheten entlocken ihr nur noch ein vages Kopfschütteln. Für sie ist der Prophet Mohammed kein Frauenfeind. Deshalb steht sie auch irgendwelchen Hadithen – also überlieferten Aussagen des Religionsstifters zu Lebzeiten, die ein solches Bild belegen sollen – mehr als kritisch gegenüber.

„Das Traurige ist“, sagt die Imamin der MGR (Muslimische Gemeinde Rheinland), „dass viele die Schriften gar nicht kennen.“ Und schlimmer noch, die historischen Umstände und patriarchalischen Lebenswelten der Menschen nicht berücksichtigten, vor deren Hintergrund solche Niederschriften entstanden. „Das zu vermitteln ist immer wichtiger.“ Müller ist eine wirkliche Religionsgelehrte – und ja auch eine islamische Feministin der ersten Stunde, wie sie sich weltweit noch immer erst vorsichtig zusammentun. Lange bevor jedenfalls die Feministin und Rechtsanwältin Seyran Ates in Berlin sich der Religion zuwandte und im Sommer eine liberale Moschee gründete.

Der Aufschrei in der islamischen Welt um Ates war erstaunlich. Sogar die wichtigsten Gralshüter der Lehre in Kairo und Ankara ließen sich zu einer vernichtenden Fatwa (Rechtsgutachten) hinreißen und sprachen der kleinen Moschee die Legitimation ab. Vor allem aber dieser Frau, die es sich anmaßte, das Gebet zu leiten, gegen die offizielle Lesart des Koran. Ein Gebet, bei dem Männer und Frauen nebeneinanderstehen.

Das allerdings tut Rabeya Müller schon lange. Es ist Sonntagmittag und die erste Versammlung der liberal-islamischen Gemeinde in Köln nach einer längeren Pause. Treffpunkt ist wie immer der Konfirmandenraum der Lutherkirche am Volksgarten. Es wird ein Treffen zu viert – in einer ohnehin kleinen Gemeinde von 70 Personen. Hadi Schmidt-El Khaldi ist der Vorsitzende der Schar und sichtbar enttäuscht, dass es nicht wie sonst, wie er sagt, 30 Mitglieder werden. Auch Rabeya Müller selber hätte den ersten Termin fast vergessen. Lachend kommt sie herein, ein wenig vom Winde verweht, aber gleich in ihrer warmherzigen Art der Mittelpunkt.

Was ist anders hier als in Berlin? Eine evangelische Gemeinde als Gastgeber wie in der Hauptstadt. Ja. Aber kein Staatsschutz, keine sonnenbebrillten Bodyguards bewachen Müller oder die anderen. Kein Medien-Hype. Und doch sitzt auch hier eine Imamin der muslimischen Gemeinde vor – seit mehreren Jahren schon. Auch sie betet mit Männern. Allerdings mit Kopftuch, oder besser einem lockeren Tuch. Oder deutscher Michelsmütze, bei der der Hals bewusst unbedeckt bleibt. So als suche sie irgendwie den Kompromiss. Am Anfang wurde auch sie als Imamin angefeindet. Doch der große Bann blieb aus, weil die konservativen Verbände sie allenfalls für „irregeleitet“ halten. Aber gewiss nicht für einen Machtfaktor, den es zu bekämpfen gilt. Auch in Berlin hatte die große Erregung nichts mit der zahlenmäßigen Bedeutung der Gemeinde zu tun. Es war die Provokation, der Aufmarsch der Medien, der zählte. Seyran Ates ging es um die gezielte Infragestellung der Traditionalisten und Fundamentalisten. Es ging darum, den Orthodoxen die Deutungshoheit des Islam zu entreißen. Das war es.

Vergleichbares wollen allerdings auch die liberalen Muslime, die seit der Gründung des Liberal Islamischen Bundes (LIB) 2010 um die Aufmerksamkeit unter den dreieinhalb Millionen Muslimen in Deutschland ringen. Auf rund 300 Mitglieder haben sie es seitdem gebracht. Mehr nicht. Hat Müller dafür eine Erklärung? Offenbar, so scheint es, existiert jenseits der Konservativen und Fundamentalisten kein Bedarf. Müller: „Es gibt viele säkulare Muslime.“ Damit meint sie Muslime, die ihre Religion kaum praktizieren. Und deren Anteil steige. Zu einer beachteten Buchautorin mit regelmäßiger Medienpräsenz hat es immerhin die neben Müller zweite Mitbegründerin des LIB, die Religionspädagogin Lamya Kaddor, gebracht. Bedroht wird auch sie, aber überwiegend von rechts.

Und doch ist klar: Es gibt einiges, was die Liberalen von einer Seyran Ates Abstand nehmen lässt. In der Auffassung vom Islam wähnt man sich gar nicht so weit auseinander. Doch will niemand hier einen Schulterschluss. Und wer genau hinhört, kann hören, dass man einer Anwältin Ates die inhaltliche Kompetenz abspricht, für den liberalen Islam zu sprechen. Stattdessen sagt Schmidt-El Khaldi: „Das Laute ist nicht unsers.“ Anders als Ates, die die konservativen Verbände ausdrücklich für eine Gefahr hält, ihre Auffassung vom Islam für demokratie-, frauenfeindlich und desintegrativ, setzen die liberalen Muslime auf Kooperation. „Wir sind nicht gegen die konservativen Gruppen, wir gehen nur einen eigenen Weg und sind bereit zusammenzuarbeiten“, ergänzt Rabeya Müller. In der muslimischen Tradition habe es stets verschiedene Standpunkte gegeben. Das will man wieder klarmachen, diese Option verankern.

Dass die Konservativen das anders sehen, es bisher geschafft haben, dass sie allein als Ansprechpartner für die Politik gelten, ist für die kleine Schar der Liberalen empörend. Immerhin hatten Kaddor und Müller auf Basis ihrer theologischen Ausbildung Unterrichtsmaterial für den neu geschaffenen islamischen Bekenntnisunterricht beigesteuert. Aber in den Beirat für die Gestaltung der Lehrpläne und die Berufung der Islamlehrer wurden sie nicht geladen.

Für die Liberalen war das auch deshalb unverständlich, weil es sich bei den Verbänden in erster Linie um politische und soziale Interessenvertretungen handelt. Theologisch kompetente Ansprechpartner bei der türkischen Ditib, dem arabisch geprägten Zentralrat der Muslime oder beim Islamrat zu finden ist mühsam bis erfolglos. Von der neuen, CDU-geführten Landesregierung erhoffen sich die Liberalen, nun endlich auch als eine Stimme des Islam wahrgenommen zu werden.

Rabeya Müller ist ein eher leiser Mensch. Dass es sie nicht in die mediale Öffentlichkeit zieht, nimmt man ihr ab. Nach dem Abitur hat sie den Islam zu ihrer Religion gewählt und ist vom Katholizismus konvertiert. Nicht der Liebe wegen, eines muslimischen Mannes also, wie viele andere Konvertierte, sondern aus Überzeugung. Erst später hat sie einen Mann ihres neuen Glaubens geheiratet. Eine Schwiegertochter ist Türkin, und stolz ist sie besonders auf ihre Enkel. Rabeya Müller wuchs in einer Kleinstadt in der Eifel auf, verwurzelt und verbunden mit den Traditionen vor Ort. Da war es mutig, die einzige Muslima weit und breit zu sein. Und so ist ihr der Mut als Eigenschaft allmählich zugewachsen. Der Mut, sich außerhalb der Norm zu stellen. Nur dass sie sich theoretisch gleich mit einer ganzen Weltmacht angelegt hat, der religiösen Welt des orthodoxen Islam und der öffentlichen Dominanz von vielen alten und starr gläubigen Männern. Dass dieser Islam, diese Religion des klaren Monotheismus, ohne die üblichen irdischen Vermittler zwischen Gott und den Menschen auskommt, das hat sie immer fasziniert. Warum also sollte sie den unflexiblen Interpretationen dieser alten Nomenklatura folgen? Warum nicht stattdessen das Spirituelle betonen, an die frühen Mystiker und Reformer erinnern und die historischen Bezüge der alten Texte offenlegen? Dann passt für Müller der Islam auch zu ihrem Deutschland, zu Demokratie, Menschenrechten und Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und so kämpft sie unerschütterlich um dessen Vielfalt – wie einst Sisyphos mit seinem Stein.

Rabeya Müller ist viel unterwegs, gefragt auf Kongressen, in Beiräten von Universitäten und interreligiösen Gremien, dazu Vizevorsitzende im Zentrum für Islamische Frauenforschung und -förderung in Köln. Nicht immer spielt die Gesundheit mit, vielleicht auch, weil ihr der Kampf am Ende doch mehr zusetzt, als sie das wissen lassen möchte. Und weil es ihr nahegeht, was seit Jahren nun obendrein die Fanatiker und Terroristen aus ihrem Islam gemacht haben. Im Vordergrund steht für sie deshalb die Arbeit in den Schulen. Und auch da ist für sie die Gefechtslage jenseits irgendwelcher Verdächtigungen klar. Müller geht es um das Prinzip des offenen Diskurses – anders als den großen islamischen Verbänden. Ditib und der Zentralrat der Muslime streben seit 20 Jahren eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts an – den christlichen Kirchen gleich. „Das wünsche ich mir derzeit nicht“, sagt Müller und bleibt dennoch zurückhaltend, was die jüngste Absage des Oberverwaltungsgerichts Münster an Zentralrat und Islamrat angeht. Ihr Urteil aber steht fest. Sie weiß warum. Im Beirat für den islamischen Unterricht wurden durch die orthodoxen Verbände jede Menge gute frühere Lehrer für Islamkunde abgelehnt. „Frauen zum Beispiel, die mit einem Christen verheiratet sind.“ Für Müller ist es ein Skandal, dass die Landesregierung das geduldet hat. Viele Islamkundelehrer wollten sich nun dem Gremium erst gar nicht vorstellen, sie lehnten es ab, von den Verbänden für die Lehrerlaubnis (Idschaza) begutachtet zu werden. Das scheint auch die Ursache dafür, dass es nur eine Handvoll Islamlehrer gibt – und es mit flächendeckendem Angebot für Bekenntnisunterricht vorerst nichts wird.

Für eine liberale Muslima wie Rabeya Müller muss Religionsunterricht in der Schule „ergebnisoffen“ bleiben. Und darf sich nicht ausschließlich an den Traditionen der Herkunftsländer der Eltern und Großeltern orientieren. Denn gerade das kritische Denken müsse geschult werden. Da täten sich islamische Gemeinschaften schwer, sagt die deutsche Konvertitin. Das zeige auch die Diskussion um die Frauenfrage, um Antisemitismus und Homosexualität. Zu stark sei der muslimische Alltag durch die Festlegungen auf haram (verboten) und halal (erlaubt) geprägt. „Wenn muslimische Kinder da ein gesundes Misstrauen hätten, wären wir schon weiter.“

„Zu uns kommen Leute, die suchen und über Theologie diskutieren wollen,“ sagt Schmidt-El Khaldi. Für eine Marokkanerin in der Runde war der liberale Kreis sogar ein religiöser Rettungsanker. „Wenn wir vielen als ketzerisch gelten: Genau deshalb bin ich hier,“ sagt sie. Und dann zeigt sie einen der großen Unterschiede auf. „Als ihr Sohn sich als homosexuell outete, war für sie klar, dass sie nicht mehr in die alte Moschee gehen konnte. „Wenn er schwul ist, dann ist er auch kein Muslim mehr“, sage man dort. „Bei den Liberalen vom LIB aber geht beides.“ Wichtig auch die Stellung der Frau. Frauen, die wichtige Aufgaben wahrnahmen, seien in der Tradition verankert. So habe Umm Waraqa, eine Gefährtin des Propheten, Männern wie Frauen gemeinsam vorgebetet, wie es eine glaubwürdige Überlieferung belege. Auch schließt Müller Ehen zwischen muslimischen Frauen und Christen – ein Tabu in der gesamten islamischen Welt. Außer neuerdings in Tunesien.

Es ist viel von Vernunft die Rede an diesem Sonntag im Konfirmandenraum der Lutherkirche. Und von der Eigenverantwortung des Menschen, wie der Koran sie postuliere. Wer wie die Konservativen Verhalten diktiere und Zuwiderhandlung mit Angst belege, wolle einen unmündigen Menschen. Das ist nicht Rabeya Müllers Islam.

Preis für einen weltoffenen Islam

Die Toleranzringe 2017 der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste erhält am 15. November die Kölner Imamin und Mitbegründerin des Liberalen Islamischen Bundes (LIB), Rabeya Müller. Geehrt wird sie als erste liberale Imamin in Deutschland. Müller habe sich intensiv für einen weltoffenen Islam und den interreligiösen Dialog in Deutschland eingesetzt. (awi)

aus dem Kölner Stadtanzeiger

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