Bund und Länder wünschen einen klaren Ansprechpartner bei den Muslimen. Aber so einfach geht das nicht.
Von Rabeya Müller
Rabeya Müller,61, arbeitet beim Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung in Köln, ist Gründungsmitglied des Liberal Islamischen Bundes und Imamin bei der Muslimischen Gemeinde Rheinland
Die Deutsche Islamkonferenz hat wieder einmal die Frage aufgeworfen:
Wer spricht eigentlich für die Musliminnen und Muslime in Deutschland?
Die theologisch konservativen Verbände? Kleine Gruppen wie die liberalen
Muslime, die Religion und liberales Denken verbinden wollen? Die
säkularen Muslime, die sich medienwirksam vor dem Treffen
zusammengeschlossen haben, teils scharfe Religionskritik üben und für
eine strikte Trennung von Staat und Religion eintreten?
Jede Religionsgemeinschaft sucht sich selbst die Quellen, nach
denen sie sich richten will und soll. Dabei geht es auch um den Anspruch
des Grundgesetzes, gut und vernünftig mit der Religion umzugehen. Dem
Genüge zu tun und gleichzeitig die Authentizität derselben zu wahren,
ist oftmals eine schmale Gratwanderung. Das zeigt sich auch vor allem
darin, wie theologisch-theoretische Kriterien und Ansprüche der
unterschiedlichen islamischen Strömungen in die Praxis umgesetzt werden.
Der Staat muss dabei bemüht sein, die innerislamische Vielfalt zu
berücksichtigen und widerzuspiegeln. Diese Vielfalt sollte von den
Betroffenen mitgestaltet und interdisziplinär verwirklicht werden.
Damit tun sich die Muslime nicht nur in Deutschland schwer.
Natürlich wollen sie die Gleichberechtigung mit Religionsgemeinschaften.
Selbstverständlich wünschen sich alle, dass Theologie und Religion
seitens des Staates gefördert werden. Aber zweifelsohne sollten Bundes-
oder Landesebene jene fördern, die, der säkularen rechtsstaatlichen
Vorstellung entsprechend, auf dem Boden der Verfassung stehen. Dabei die
Religionsfreiheit nicht anzutasten, ist manchmal nicht ganz einfach.
Religion gilt auch heute noch für viele Musliminnen und Muslime
in einer Weise als Orientierung, die ihre liberale und säkulare Umwelt
irritiert. Wenn aber ein frommer Mensch in rituellen Fragen traditionell
religiös ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass er ein Islamist ist.
Das deutsche Recht setzt dieser traditionellen Frömmigkeit Grenzen.
Trotzdem wäre eine Flexibilität von allen Seiten der Sache dienlich.
Der Islam ist eine Weltreligion und strukturell nicht unmittelbar
mit den christlichen Kirchen vergleichbar. Es gibt im Islam kein
Lehramt, auch wenn mancher (und manche) gerne Papst aller Muslime wäre.
Der Islam kennt keine Ordination von Geistlichen, auch wenn es
Verbandsfunktionäre gibt, die gerne die ihnen genehmen Personen
ordinieren und missliebigen die Zustimmung verweigern würden. Doch diese
Entscheidung trifft regulär eine muslimische Gemeinde ganz
basisdemokratisch für sich selbst, dabei sollte es auch bleiben.
Wenn das Ziel die Zusammenarbeit der muslimischen Gruppierungen
untereinander sein soll, müssen Bund und Länder davon ablassen, eine
Anpassung an kirchliche Strukturen zu fordern. Da der Islam ein anderes
Gefüge hat, muss sich erst innerislamisch etwas entwickeln, das
bestimmten rechtlichen Vorgaben näher kommt. Einfach nur muslimische
Gruppierungen an einen Tisch zu holen, ihnen die vorhandenen
organisatorischen Vorstellungen zu erläutern und eine entsprechende
Anpassung einzufordern, hat sich als nicht zielführend erwiesen.
Verstärkt wird dies noch, wenn sich viele Musliminnen und Muslime nicht
von den an den Tisch Geholten vertreten fühlen und die wiederum lieber
schlecht übereinander als konstruktiv miteinander reden. Das wäre
Aufgabe der Muslime: über gemeinsame Kriterien zu diskutieren und auch
zu streiten.
Eine solche Diskussion sollte offen an die bestehenden Fragen und
Probleme herangehen und Absolutheitsansprüche ausschließen. Eben erst
haben bei der Tagung einer großen deutschen Stiftung Studierende der
Islamischen Theologie Äußerungen wie „Imaminnen gibt es nicht!“ oder
„Homosexualität ist eine Krankheit“ getätigt – so etwas sollte es nicht
geben und auch nicht toleriert werden. Der Islam ist nicht in Gefahr,
wenn Menschen über theologische Inhalte unterschiedlicher Meinung sind.
In der islamischen Welt werden längst sehr verschiedene theologische
Meinungen kontrovers diskutiert, das fehlt in Deutschland. Es wäre
wünschenswert, wenn die Deutsche Islamkonferenz hierfür ein Forum bieten
könnte. Offenbar bedarf es an dieser Stelle einer Moderation des
Staates, um die Musliminnen und Muslime miteinander ins Gespräch zu
bringen. Das heißt keineswegs, dass der Staat „es richten“ soll, wie
sich das vielleicht einige wünschen. Die innerislamische Diskussion
müssen alle mit allen führen, auch wenn es persönliche Vorbehalte gibt.
Würden die Verbände und ihre Funktionäre andere Meinungen
respektieren und eventuell sogar akzeptieren, dass es nicht die eine
islamische Sicht der Dinge gibt, würde das die gegenseitigen
Beschimpfungen der muslimischen Akteure auf Twitter und Facebook
verringern – aber auch der gesamten Gesellschaft nützen. Ganz abgesehen
davon, dass es eine alte islamische Tradition ist, unterschiedliche
theologische Standpunkte miteinander zu diskutieren, ohne sich
gegenseitig das Muslimsein abzusprechen.
Es würde für den Staat keinen Eingriff in innerreligiöse Fragen
bedeuten, wenn er diese Plattform ermöglichen würde. Dabei darf auch der
Minderheitenschutz nicht außer Acht gelassen werden – es gilt also
nicht nur, sich nach vermeintlich organisierten Mehrheiten zu richten,
sondern auch die Bedürfnisse der vielen verschiedenen Menschen
muslimischen Glaubens in diesem Land Berücksichtigung finden zu lassen.
Das ist auch eine Chance, da es auf Bundesebene noch keinen
vergleichbaren Staatskirchenvertrag gibt und somit Inhalte frei
diskutierbar bleiben.
Diesen innerislamischen Diskurs zu befördern, sollte eine der
vordringlichsten Aufgaben der Deutschen Islamkonferenz sein. Es gibt ja
bereits zahlreiche unterschiedliche Initiativen, Gruppen und Strömungen,
die sich in dieser Gesellschaft und für diese Gesellschaft engagieren
wollen; es ist gut möglich, dass die meisten davon in irgendeiner Form
zusammenfließen werden. Die Deutsche Islamkonferenz braucht gar nicht
immer neue Gruppen, die beanspruchen, für „die“ Muslime zu reden. Sie
braucht Mitwirkende, die miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch kommen
wollen und können. Nur ein derart beförderter innerislamischer Dialog
könnte den Traum der Verwaltungsebene erfüllen, einen Ansprechpartner
zu haben.
Die Gemeinsamkeiten der Akteurinnen und Akteure sind größer, als
sie manchmal selber wahrhaben wollen. Würden sie mit- statt übereinander
reden, würden sie mit Erstaunen feststellen, dass vieles auch von
anderen gesagt wird. Das Fazit ließe sich dann von allen
gemeinsam formulieren.
Der aus anderen Ländern gesteuerter Islam muss mehr unter Kontrolle gebracht werden.
Den Salafismus habe ich amAnfang meiner Konversation kennen gelernt, mich aber nach einiger Zeit, sehr erschreckt abgewendet.
Diese extremistischen Auslegungen, die angstmachenden islam-theologischen Predigten und Gespräche haben mich an meine Zeit erinnert, da ich der katholischen Kirche angehörthabe.
Die habe ich aufgrund der extrem-konservativen Auslegung verlassen.
Einige Jahre habe ich in einer Moschee mitgearbeitet, das mir viel Freude gemacht hat, wo ich auch vieleDinge auf dem Weg gebracht habe. Aber auch da wurde es nach dem Weggang desImans, immer konservativer.
Es wurde ein Islam gelehrt, der mit Angst und blindem Gehorsam daher kam, mit Bestrafung, wenn man nicht folgte.
Es war nicht mehr möglich dass die Frauen in das Lokal gingen, wo die Männer saßen.
Bei den Iftar-Essen in derMoschee, wurde der langestreckte Raum mit einem schwarzen Tuch unterteilt, wo man Frauen und Männer von einander abschirmte. Mir wurde gesagt, die Mehrheitder Moscheebesucher wollte das.
Davon war zu der Zeit, wo ich mitgearbeitet habe, nie die Rede. Ich fand, es war eine sehr offene Moschee und ich hatte den Eindruck, sie passten sich doch etwas an die moderne Zeit an.Aber davon ist überhaupt keine Rede mehr.
Was mich vor allem sehr störte war, dass die Kinder im Koranunterricht nur in Türkisch unterrichtet wurden, deutschsprachige Kinder hatten keine Chance.
Viele Familien haben dann ihre Kinder in arabische Moscheen geschickt, wo nur deutsch gesprochen wurde. Aber, davor habe ich immer gewarnt, denn Muslime, die dem Salafismus nahe stehen, haben dort Einfluss.
Sehr diskret, aber auch sehr erfolgreich, agieren sie dort.
So können sich die Salafisten über Nachwuchs nicht beschweren. Auch junge Muslime, die in den Moscheen, die der KRM angehören, lernen einen Islam, dessen Ideologie auf Strafen und Angst basiert.
Es gibt nicht wenige Imame, die aus der Türkei hier für einige Jahre eine Moschee betreuen, den Islam missbrauchen.
Auch sie predigen einen Islam, der erzkonservativ ist, z. B. auch ihre mit dem Koran begründete Frauenfeindlichkeit, ist Terror, Terror gegen die Frauen. Sie tragen großeVerantwortung, mit ihren orthodoxen Auslegungen, mit rigidem politisch ideologisierten Islam, haben sie die Grundlage für den fanatischen Islam gelegt.
Die Moscheevereine müssen ihre rückwärtsgewandten Inhalte auf dem Prüfstand stellen. Sie müssen sich mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau auseinandersetzen, Umgang mit der Sexualität, Umgang mit Andersgläubige und mit anderen Lebensformen.
Einen Weg finden, der einen zeitgemäßen Islam zulässt.
Menschenrechte sind nicht teilbar, auch nicht mit einer Religion.
Unsere Politiker müssen aufpassen, dass hier in Deutschland, nicht diesen rigider politisch ideologisierter Islam an unseren Schulen Einzug hält. Es ist nicht gut, dass nur der Koordinierungsrat der Muslime das Sagen über die Auslegung des Islams bekommen und auch das Sagen, wer hier den Islam an den Schulen lehren darf.
Ca. 14 % der Muslime werden von ihnen vertreten, die anderen Muslime werden außen vorgelassen und von der Mitentscheidung ausgeschlossen. Ein erster Schritt ist mit der Deutschen Islamkonferenz gemacht worden, wo auch Muslime eingeladen wurden, die nicht dem Koordinierungsrat der Muslime angehören.
Wir haben ja schon gesehen was passiert, wenn wie Professor Khorchide einen liberaleren Islam in seinem Buch: „Islam ist Barmherzigkeit“beschrieben hat. Wie er sich verteidigen musste.
Ein empfehlenswertes Buch
Ausspruch von Dr. Lale Akgün:
„Meine Sorge ist – es istauch meine Sorge – dass der konservative Islam in den nächsten Jahrzehnten den muslimischen Teil der Gesellschaft immer mehr unter Druck setzen und einen Islam nach seinen Vorstellungen etablieren will.
Das würde eine Absonderung von Teilen der Muslimen fördern, und damit würde ein Keil in die Gesellschaft getrieben, so dass die Muslime dann immer mehr auseinander driften würden.
Aber letzten Endes wären auch gewalttätige Auseinandersetzungen zu befürchten.
Die fanatischen Muslime würden zuerst den liberalen Muslimen das Leben zur Hölle machen und dann den Nichtmuslimen.
Den orthodoxen Verbände, die sich in der Politik breit gemacht haben, vertreten nur ihre Klientel – oder wie bei der DITIB, die türkische Politik, die dahinter steckt. Oftmals geht es ihnen weniger um ihren Glauben, als um Machtdemonstrationen.
Noch ein Ausspruch von Dr.
Lage Akgün, – wo ich auch voll hinter stehe – :
Wenn der Staat diese Entwicklung – da nämlich die konservativen Verbände und nur sie, die islamischeAusbildung von Schülern und Studenten kontrollieren – tatenlos zuschaut, dannwerden zukünftige Generationen von ewig gestrigen Muslimen an deutschen Schulen und Universitäten staatlich ausgebildet werden.
In wenigen Jahren wird sich
diese Entwicklung verselbstständigt haben – und dann wollen die Verbände von
Salafismus-Prävention reden. Dann heißt es nur noch: „Gute Nacht Deutschland.“
Im Koran stehe,
Christen seien auf den Tod zu hassen, sagen Terroristen. Falsch sagt ein
katholischer Theologe im Interview. Seine jahrelange Forschung zeigt, dass der
Koran mit Christen kein Problem hat. Ist der Religionskrieg ein
Missverständnis?
Seite an Seite,Prophet Mohammed (auf Kamel) und Jesus in einer Illustration aus dem 18.Jahrhundert. (Bild: AKG Images)
Theologe Klaus vonStosch im Interview.
Herr von Stosch, was bringt Sie als katholischen
Fundamentaltheologen dazu, sich mit dem Christusbild im Koran zu befassen?
Klaus von Stosch: Innerhalb der systematischen Theologie, die ich als Wissensch aftler vertrete, ist der Dogmatiker für die innere Architektur des Glaubensverantwortlich, und der Fundamentaltheologe trägt die Verantwortung nachaussen. Als eine Art Aussenminister muss er schauen, wo freundliche Nachbarn sind, mit denen man gute Beziehungen entwickeln kann, und wo dieSchurkenstaaten, denen man eine klare Kante zeigen muss.
Der Islam ist derzeit wohl ein schwieriger Kandidat?
Das dachte ich mir
zuerst auch. Ich bin kein Dialogonkel, der immer schon den Frieden der
Religionen voranbringen wollte. Bis heute geht es mir so, dass mir im Koran aus
meiner christlichen Perspektive heraus Entscheidendes fehlt. Aber es stehen
eben auch Dinge drin, die mir etwas Wichtiges zu sagen haben und die mich auch
im eigenen Glauben und Leben weiterbringen können.
Was fehlt?
Das Entscheidende
ist natürlich das Kreuz, immerhin handelt ein Drittel der Evangelien von der
Passion. Der Koran hat hier eine Leerstelle. Aber was mich bei der
wissenschaftlichen Lektüre überrascht hat, ist, dass das Kreuz nicht direkt
abgelehnt wird. Nicht einmal an der Stelle in Sure 4, die üblicherweise so
interpretiert wurde. Da steht: «Sie haben ihn nicht getötet und haben ihn nicht
gekreuzigt, sondern es kam ihnen nur so vor. Sie haben ihn nicht getötet, mit
Gewissheit nicht, vielmehr hat Gott ihn zu sich erhoben.»
Sie sehen darin keinen Affront?
Die Verse werden
meist so gelesen, dass sie die historische Tatsache des Kreuzestodes Jesu
leugnen: Das würde es aus christlicher Sicht unmöglich machen, sie als Gottes
Wort anzuerkennen. Betrachtet man den Vers aber im Kontext der ganzen Sure,
zeigt sich, dass Gott an dieser Stelle mit den Juden spricht, die behaupten,
dass sie Jesus getötet hätten. Das wird von Gott bestritten – nicht dass Jesus
überhaupt getötet und gekreuzigt wurde. Man kann die Stelle auch so verstehen,
dass Gott sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lässt.
Wie kommt Gott im Koran dazu, sich darüber mit den Juden zu
unterhalten?
Mohammed hat sich
mit einem jüdischen Clan, mit dem er sich in Medina auseinandersetzte, ziemlich
zerstritten. Das ist auch der Grund dafür, dass er die Gebetsrichtung wechselte
und danach gegen Mekka statt gegen Jerusalem betete. In dem Streit scheinen die
Juden gesagt zu haben, wir haben schon den Jesus plattgemacht, dich machen wir
auch platt. Der Vers sagt nun: Ihr habt das bei Jesus nicht geschafft, bei mir
werdet ihr es auch nicht schaffen!
Die Christen sind hier nicht gemeint?
Hätte Gott mit dem
Vers den Christen mitteilen wollen, dass sie sich 600 Jahre lang geirrt haben,
als sie dachten, Jesus sei gekreuzigt worden: Wäre es dann nicht eine gute Idee
gewesen, ihnen das direkt zu sagen? Auch aus muslimischer Sicht? Gott spricht
im Koran ja oft mit den Christen. Er sagt: Ihr Christen!
Der Sinn erschliesst sich nur aus der Lektüre der ganzen Sure?
Darum geht es bei
der Suren-holistischen Forschungsmethode, die wir in Bezug auf die Christologie
im Koran erstmals anwenden. Wir verbinden sie mit einer historisch-kritischen
Lektüre des Korans, die auf die Reihenfolge achtet, in der die einzelnen Verse
des Korans entstanden sind. Diese Methoden lassen sich durchaus damit
vereinbaren, dass der Text des Korans möglicherweise von Gott kommt, wie die
Muslime es glauben. Aber wenn Gott spricht, tut er das in einer bestimmten Zeit
zu bestimmten Menschen und in einer bestimmten Sprache, der arabischen. Will
man den Koran richtig verstehen, muss man sich fragen, wie bestimmte Wörter in
dieser Zeit verstanden wurden.
Was bedeutet das konkret für das Christusbild?
Zum Beispiel gibt
es im historischen Kontext zwei Wörter, um Jesus als Sohn Gottes zu bezeichnen.
Arabische Christen verwenden das Wort Ibn, heidnische Araber sagen Walad. Wenn
nun im Koran steht: «Sagt nicht, dass Jesus der Walad Gottes ist», ist das wohl
nicht an Christen gerichtet, sondern an die heidnischen Araber.
Was brachte die heidnischen Araber dazu, Jesus Gottes Sohn zu
nennen?
In der Kaaba der
mekkanischen Zeit, also bevor Mekka muslimisch wurde, wurden alle möglichen
Götter angebetet und integriert. Nur so konnte die Stadt ein bedeutendes
Wallfahrtszentrum werden. Die Christen brachten ihren Jesus mit, der danach von
heidnischen Arabern angebetet wurde, so wie sie auch verschiedene Töchter
Gottes verehrten. Der Koran wehrt sich an dieser Stelle gegen Polytheisten, die
Jesus in ihr Pantheon integrierten, sich aber nie als Christen fühlten.
Dennoch: Er lehnt hier die Vorstellung der Gottessohnschaft ab.
Ja, aber es geht
eben darum, was an welcher Stelle damit gemeint ist. In den frühen Suren setzt
sich der Koran noch gar nicht mit dem Christentum auseinander, wenn er die
Gottessohnschaft Jesu zurückweist. Hier geht es um die paganen Araber, die mit
ihrer Bezugnahme auf Jesus etwas ganz anderes meinen als die Christen.
Aber später kommt es dann doch zum Widerspruch?
Sicher gibt es
Stellen, die sich kritisch mit dem Christentum auseinandersetzen. Aber die
Christen, die der Koran kritisiert, glauben oft anders als wir Christen heute.
An einer Stelle, an der sich der Koran etwa kritisch mit der Trinität
auseinandersetzt, wird deutlich, dass er damit auch Maria mit einschliesst und
sich gegen die Vorstellung von Gottvater, Gottmutter und Gottkind wendet.
Dagegen würden sich Christen aus heutiger Sicht ja auch wehren, das wäre
Polytheismus! Sicher gab es damals gerade auf der Arabischen Halbinsel
christliche Sekten, die in die Nähe dieser Vorstellung gekommen sind. Aber das
war niemals Mainstream in den Kirchen.
Welche Irrwege sind dem Koran sonst noch aufgefallen?
In Sure 5:75
versucht der Koran, Christen zu kritisieren, weil sie angeblich denken, dass
Jesus und Maria nicht normal gegessen haben wie wir.
Wie kommt der Koran auf diese Idee?
Ich bin auf die
Häresie des Julianismus gestossen, die davon ausgeht, dass Jesus vor der Auferstehung
genauso gegessen hat wie nach der Auferstehung. Sogar der Kaiser hat im 6.
Jahrhundert Jesus für einen Gott gehalten und gesagt: Gott kann ja nicht aufs
WC gehen! Also kann er auch nicht normal gegessen haben. Dagegen wendet sich
der Koran.
Er kommt in 108
Versen vor und wird mit Titeln bezeichnet, die der Koran für keinen anderen
Propheten verwendet. Jesus ist der Geist Gottes, das Wort Gottes und der
Messias: Das ist fast das volle Programm und verwendet wichtige Punkte, die man
eigentlich nur in einer christlichen Schrift erwarten würde. Jesus spricht im
Koran schon als Baby, er wirkt Wunder, erweckt Tote. Das alles sind
Auszeichnungen, die kein anderer Prophet erhält und die seine Besonderheit und
seine Herkunft von Gott betonen.
Woher diese Wertschätzung?
Die Koranforscherin
Angelika Neuwirth hat überzeugend gezeigt, dass der Koran im Resonanzraum der
Spätantike entsteht. Er ist geprägt durch orale Traditionen, die unter anderem
die Bibel verarbeitet. In den frühen Versen gibt es eigentlich noch gar keine
kritische Auseinandersetzung mit den Christen. Es ist auch fraglich, ob sich
Mohammed da schon als Muslim im Sinn einer eigenen Religionszugehörigkeit
angesehen hat. Muslim bedeutet zunächst einfach: Der sich an Gott hingibt. Auch
Jesus wird im Koran als Muslim bezeichnet.
Mohammeds kulturelle Wurzeln sind christlich?
Er ist ein
Gottessuchender, ein Hanif, kommt also aus einem monotheistischen
Grundverständnis heraus, das sicher nicht frei von jüdischen und christlichen
Einflüssen ist. Die nach Maria benannte Sure 19 des Korans liest sich fast wie
ein christlicher Text. Auch noch die nach dem Vater Marias benannte Sure 3 ist
eine riesengrosse Einladung an Christen. Wahrscheinlich entstand sie aus Anlass
eines Besuchs einer Delegation von christlichen Theologen aus Nadschran. Sie
haben wohl auf die Avancen Mohammeds hin gesagt: Wenn Jesus nicht der Sohn
Gottes ist, was ist er dann? Der Koran weist ihre kritischen Nachfragen nicht
zurück, sondern bietet ihnen eine Fülle von Anknüpfungspunkten für ihren
Glauben. Zugleich merkt man der Sure allerdings an, dass sie auch durch
Leerstellen in der Christologie Unterschiede zum Christentum markiert.
Sind Jesus und Mohammed vielleicht sogar Brüder im Geiste?
Ich wehre mich
gegen das Überbetonen der Gemeinsamkeit. Viel aufregender sind die
Unterschiede, von denen ich etwas lernen kann, das für mich bereichernd ist.
Ist es nicht spannend, dass Jesus im Koran schon als Baby zu uns Menschen
spricht? Wenn man nicht auf die wenig rationale Idee kommt, diese Passage
wörtlich zu verstehen, heisst das doch, dass Jesus schon als Kind eine
Ausstrahlung hatte, die seine besondere Sendung verdeutlicht. Hier deutet der
Koran die Schönheit Jesu an. Überhaupt ist die Schönheit Gottes ein zentraler Punkt,
den wir Christen von Muslimen lernen können. Denken wir nur an die Schönheit
der Koranrezitation. Im Islam ist die Schönheit des Korans entscheidend. Im
Christentum ist Jesus entscheidend, über den mich Gott als Mensch berührt.
Diese Rolle Jesu fehlt im Koran?
Sie wird nicht
positiv gewürdigt, sondern ausgespart. Das ist schon eine Relativierung, denn
der Koran kennt die christliche Tradition ja sehr genau und verhält sich sehr
bewusst zu ihr. Manche meiner muslimischen Kollegen sehen etwa eine starke
Relativierung darin, dass der Koran Jesus mit Adam vergleicht und damit seine
Menschlichkeit betont. Aber auch wir als Christen glauben ja an die
Menschlichkeit Jesu.
Wie leiten fundamentalistische Muslime aus dem Koran
Christenhass ab?
Indem sie Verse
losgelöst vom Kontext betrachten und sie philologisch ungenau arbeiten. Wenn im
Arabischen etwas über die Juden oder die Christen gesagt wird, ist von der
Sprache her immer eine bestimmte Gruppe von Juden oder Christen gemeint. Es ist
wichtig zu wissen, wer.
Wo zum Beispiel?
Nehmen wir Vers 30
der Sure 9, der einzigen Passage, die explizit ablehnt, dass Jesus als Sohn
Gottes im Sinne von Ibn Gottes bezeichnet wird. Direkt im nächsten Vers wird
deutlich, dass hier Christen vorgeworfen wird, nicht nur Jesus, sondern auch
ihre Bischöfe als Söhne Gottes zu verehren. Genauso wird Juden vorgeworfen,
Esra und die eigenen Schriftgelehrten als Söhne Gottes zu verehren. Offenkundig
geht es hier nicht um eine spezifische Aussage zur Christologie, sondern um
eine Fehlform christlicher Frömmigkeit, die bei bestimmten Christen in einer
bestimmten Zeit zu beobachten ist.
Wie lässt sich bei alledem ein negatives Gesamtbild der Christen
postulieren?
Auch
Fundamentalisten wissen: Der Koran spricht auch positiv von Christen und preist
sie als die besten Freunde der Muslime an. Ihre Strategie ist es, zu sagen:
Das, was Gott zuletzt sagt, stimmt. Es hebt alles andere auf. Deswegen ist die
wissenschaftlich noch umstrittene Frage so wichtig, welche Sure zuletzt war,
die fünfte oder die neunte.
Was wäre aus christlicher Sicht besser?
Die fünfte. Sie
enthält die aufregende Stelle, an der die Jünger von Jesus erbitten, dass er
ihnen einen Tisch vom Himmel herunterschickt, um Gewissheit im Glauben zu
erlangen. Sie versichern, über diesen Tisch auch in Zukunft ihren Glauben
bezeugen zu wollen. Wenn nun aber vorher darauf verwiesen wurde, dass Jesus
sogar Tote zum Leben erweckt hat, ist kaum verständlich, warum ein einmaliges
Speisewunder die Jünger von ihren Zweifeln abbringen sollte. Es liegt deshalb
nahe, darin eine Würdigung der Eucharistie zu sehen. Ist das das letzte Wort
des Korans an sie? Die Mehrheit der westlichen Islamwissenschafter sieht es so.
Was sagen die muslimischen Forscher?
Viele tendieren zur
Sure 9 als letzter Sure des Korans. Sie enthält tatsächlich Gewaltverse, die,
aus dem Zusammenhang gerissen, krass sind: Islamkritiker zitieren meist den
Schwertvers der Sure 9:5 und die Aufforderung: «Tötet die Ungläubigen, wo immer
sie sich verstecken.»
Sind mit diesen Ungläubigen, mit diesen Beigesellern, nun
Christen gemeint?
Nein. Es lässt sich
aus dem Kontext des Verses ableiten, dass die Adressaten pagane Araber sind, in
diesem Fall Mekkaner, die einen Vertrag gebrochen und Mohammed die vorher
zugesagte freie Pilgerfahrt nach Mekka verwehrt haben. Kann man alles im Koran
lesen! Und den Vertrag kann man historisch zuordnen ins Jahr 628. Dreimal hatte
Mohammed davor mit den Mekkanern gekämpft und am Ende den Sieg davongetragen,
aber statt nun Mekka einzunehmen, liess er sich und seinen Begleitern freies
Geleit zur Kaaba zusichern.
Und auf den Vertragsbruch reagierte er mit der Aufforderung zum
Massaker?
Aus Notwehr droht
er mit Vergeltung. Aber interessanterweise passiert das dann nicht. Als
Mohammed sie an seine vorangegangenen Siege erinnerte und drohte, Mekka
einzunehmen, gaben sie klein bei und boten an, zum Islam zu konvertieren. Als
Christ kann man jetzt immer noch von der Bergpredigt her sagen: «Das ist nicht
meins!» Aber 99 Prozent der Politiker würden wie Mohammed handeln.
Der christlichen Liebes-Maxime wird der Koran aber schon nicht
gerecht?
Wir müssen
vorsichtig sein, dass wir hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Koran
entsteht in einer Zeit, in der es kein funktionierendes staatliches
Rechtssystem gibt. In der Stämmegesellschaft auf der Arabischen Halbinsel galt
einfach das Recht des Stärkeren, und die Solidarität innerhalb des Stammes ging
über alles. In diesem Kontext bringt der Islam eine Revolution, die für die
biblischen Werte der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit eintritt.
Was bringt Sie zu diesem Befund?
Die Barmherzigkeit
Gottes wird im Koran öfter genannt als jede andere Eigenschaft Gottes,
insgesamt 598 Mal. Und auch der Prophet Muhammad wird als Prophet der
Barmherzigkeit bezeichnet. Blickt man auf die islamische Mystik, ist es gerade
Jesus, der nicht nur die Barmherzigkeit Gottes, sondern auch seine Liebe zu den
Menschen bringt. Vielleicht könnte das ja auch ein Zugang zu der Rede von Jesus
als Wort Gottes im Koran sein. Jesus wäre dann in seiner ganzen Menschlichkeit
Gottes barmherzige und liebevolle Anrede an uns.
Das klingt jetzt aber ziemlich christlich.
Trotzdem könnten
auch Muslime einen solchen Satz aus dem Koran entnehmen. Sie würden dann nur
darauf bestehen, dass auch andere Propheten und andere Menschen uns mit Gott
vertraut machen können und uns seine gute Botschaft bringen.
Was können Christen lernen?
Sie sehen die
Menschenfreundlichkeit Gottes nicht nur in Jesus verwirklicht. Für sie ist
Jesus Christus zwar die alles entscheidende Norm. Aber wenn sie dann auf
koranische Aussagen stossen, die diese Norm auch in anderen Menschen
verwirklicht sehen, besteht eigentlich Anlass zur Freude. Die im Koran
vorgenommene Relativierung Jesu ist zwar sicher nichts, was Christen so
übernehmen können. Aber die Werte und Gottesbilder, die den Koran zu ihr
bringen, sind viel näher am Christentum, als uns häufig bewusst ist.
Arbeit am Jesusbild
Klaus von Stosch (*1971) studierte katholische
Theologie in Bonn und Freiburg i. Ü. mit Promotion über die Verortung
fundamentaler Theologie nach Wittgenstein. Seit 2008 ist er Professor für
systematische Theologie in Paderborn, wo er das Zentrum für komparative
Theologie und Kulturwissenschaften mitbegründete. In einer interreligiös
zusammengesetzten Forschergruppe, der u. a. der bekannte Islamwissenschafter
Mouhanad Khorchide angehört, untersucht er die Art, wie der Koran mit Jesus von
Nazareth umgeht. (mah.)