Die muslimischen Eroberer begannen, Sinn und Bedeutung des Kriegs im Islam zu beschreiben, nahmen sich die imperial sanktionierten Ideale der religiösen Kriegsführung zum Vorbild, wie sie von den Sasaniden und Byzantinern formuliert und praktiziert wurden.
Tatsächlich entstand der Begriff „heiliger Krieg“ nicht im Islam, sondern bei den christlichen Kreuzfahrern, die den Kampf, um Territorien und Handelsrouten theologisch zu legitimieren suchten.
„Heiliger Krieg“ war kein Begriff, den die muslimischen Eroberer verwendete, und es ist ganz und gar unzutreffende Beschreibung des Begriffs „dschihad“. Es gibt im Arabischen eine ganze Reihe von Wörtern, die mit „Krieg“ übersetzt werden können; „dschihad“ zählt definitiv nicht dazu.
Dschihad heißt so viel wie „Anstrengung“, „Streben“ oder „Einsatz“. In seiner primären, religiösen Konnotation (manchmal auch „der größere Dschihad“ genannt) bezeichnet der Begriff den Kampf der Seele, die sündhaften Hindernisse zu überwinden, die den Menschen von Gott fernhalten.
Deshalb wird dschihad im Koran auch fast immer mit dem Zusatz „nach dem Willen Gottes“ gebraucht.
Doch da im Islam das innere Streben nach Heiligkeit und Unterwerfung unter dem Willen Gottes mit dem äußeren Streben nach dem Wohl des Menschen unzertrennbar verbunden ist, wurde „dschihad“ oft mit seiner sekundären Konnotation (dem kleinen Dschihad) gleichgesetzt und als Ersatz gegen Unterdrückung und Tyrannei in kriegerischer oder sonstiger Form verstanden.
Und wenn diese Definition des dschihad von militanten Extremisten bisweilen instrumentalisiert wurde, um soziale und politische Ziele religiös zu untermauern, so widerspricht dies eindeutig dem Verständnis des Propheten Mohammed und den gläubigen Muslimen.
Krieg ist dem Koran zufolge entweder gerecht oder ungerecht; er ist niemals „heilig“. Folglich beschreibt man dschihad am besten als eine primitive „Theorie des gerechten Kriegs“: geboren aus der Not und inmitten blutiger Kriegswirren, die im Jahr 624 n. Chr. zwischen Mohammeds kleiner, aber ständig wachsender Gemeinschaft und der Übermacht der Quraisch ausbrachen.
Die Lehre vom dschihad, wie sie im Koran langsam entwickelt wurde, zog insbesondere eine Grenze zwischen der vorislamischen und der islamischen Kriegsführung, die nunmehr eine auf der Arabischen Halbinsel bis dahin unbekannte „ideologisch-ethnische Dimension“ erhielt, wie Mustansir Mir es nennt.
Kernpunkt der Lehre vom dschihad war die Unterscheidung zwischen Kämpfenden und Nichtkämpfenden. Frauen, Kinder, Mönche, Rabbis, die Alten oder Zivilisten zu töten war unter allen Umständen verboten.
Dieses Verbot wurde im islamischen Recht später auch auf die Folterung von Kriegsgefangenen, die Verstümmelung von Toten, auf Vergewaltigungen, Belästigungen und jede Art sexueller Gewalt in Kriegszeiten ausgedehnt; gleichermaßen verboten war es, Diplomaten zu töten, mutwillig Eigentum zu zerstören und religiöse oder medizinische Einrichtungen zu beschädigen -Regeln die, wie Himi Zawati bemerkte, in das moderne Kriegsvölkerrecht Eingang fanden.
Doch die vielleicht bedeutendste Neuerung in der Lehre vom dschihad war das strikte Verbot aller Kriege, sofern sie nicht der Verteidigung dienten.
„Kämpft nach dem Willen Gottes gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen!“ heißt es im Koran. „Aber beginnt nicht mit den Kampfhandlungen! Gott liebt nicht den Angreifer.
Surah Al-Baqara 2-190
"Und kämpft auf dem Weg Allahs gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen, doch übertretet nicht. Wahrlich, Allah liebt nicht diejenigen, die angreifen.
Und an anderer Stelle noch deutlicher:
“Diejenigen die kämpfen, ist die Erlaubnis erteilt worden, weil ihnen Unrecht geschehen ist …, (Ihnen) die unberechtigterweise aus ihren Wohnungen vertrieben worden sind, nur weil sie sagen: Unser Herr ist Gott.
Surah Al-Hajj 22-39
Die Erlaubnis, (sich zu verteidigen,) ist denen gegeben, die bekämpft werden, weil ihnen Unrecht geschah - und Allah hat wahrlich die Macht, ihnen zu helfen -, (39)
Wo im Koran in anderen Koranversen aufgefordert wird
„Tötet die Polytheisten, wo ihr sie findet (9-5)
„führe Krieg gegen die Ungläubigen und die Heuchler und sei hart gegen sie“. (9-73)
….und kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und die jüngsten Tage glauben“ (9-29).
Doch diese Aufforderungen waren speziell gegen die Quraisch und ihre in Yathrib versteckten Parteigänger gerichtet – im Koran als „Polytheisten“ und „Heuchler bezeichnet -, mit den die Umma in einer blutigen Auseinandersetzung stand.
Diese Verse wurden von Muslimen wie Nichtmuslimen zum Beweis dafür angeführt, dass der Islam zum Kampf gegen die Ungläubigen aufruft, um sie zu bekehren.
Doch weder im Koran noch bei Mohammed finden sich dafür Anhaltspunkte.
Diese Sicht entstand zur Zeit der Kreuzzüge und wurde, teils als Reaktion auf diese, von islamischen Rechtsgelehrten vorgetragen, die die „klassische dschihad-Lehre entwickelten: eine Lehre, die die Welt in zwei Sphären teilt: in das Haus des Islam und das Haus des Krieges, wobei alle Länder und Völker dazu bestimmt seien, in das Haus des Islam einzutreten.
Am Ende der Kreuzzüge, als sich Roms Aufmerksamkeit von der muslimischen Bedrohung abwandte und auf die christlichen Reformbewegungen Europa richtete, wurde die klassische dschihad-Lehre von einer neuen Generation muslimischer Denker hinterfragt.
Am entschiedensten von Ibn Taimiyya (1263-1328), der in seiner Bedeutung für die muslimische Theologie am ehesten mit dem christlichen Kirchenlehrer Augustinus verglichen werden kann. Ibn Taimiyya zufolge widerspricht die Einordnung Ungläubiger, die sich nicht zum Islam bekennen wollen, - ein Gedanke, der ja die Grundlage der klassischen dschihad-Lehre bildet – nicht nur dem Beispiel Mohammeds, sondern auch einem Grundprinzip des Korans, der lautet:
„In der Religion gibt es keinen Zwang (2-256).
In diesem Punkt ist der Koran in der Tat unnachgiebig.
“Es ist die Wahrheit, die von eurem Herrn kommt“,
heißt es dort:
„wer nun will, möge glauben, und wer will, möge nicht glauben“ 18-29.
Der Koran fragt rhetorisch:
„Willst nun du die Menschen zwingen, dass sie glauben.“ (10-29).
Offenbar nicht; daher befiehlt der Koran, den Ungläubigen zu sagen:
“Ihr habt Eure Religion und ich die meine (109-6).
aus dem Buch: KEIN GOTT - AUSSER GOTT von Reza Aslan